Kunst im Foyer

Schon beim Schlendern durchs Museumsfoyer bekommen Sie viel Kunst zu sehen. Fast alle Werke sind speziell für das mre entstanden. Die bauliche und die künstlerische Gestaltung des Museums gingen Hand in Hand.

Das Ergebnis ist ein Gesamtkunstwerk, bei dem sich Architektur, Malerei, Installation, Glaskunst und Skulptur vereinen, um erlebbar zu machen, dass die abstrakte Kunst heute aktueller ist denn je.

Eduardo Chillida, Buscando la luz III, 2000, © Chillida Family, Zabalaga-Leku, San Sebastián/VG Bild-Kunst, Bonn, 2024

Eduardo Chillida, Buscando la luz III

Nach dem Betreten des Museums fällt Ihr Blick vermutlich zunächst auf die dreiteilige Skulptur Buscando la luz III von Eduardo Chillida (1924–2002) im gläsernen Innenhof. Gemeinsam mit dem ausladenden Ahornbaum reckt sie sich dem Himmel entgegen. Ihre elegant nach oben geöffneten Formen sind Auf der Suche nach dem Licht, so der Titel auf Deutsch. Dem universellen Streben nach der lebenspendenden Sonne verleiht der baskische Bildhauer im Jahr 2000 eine einzigartige künstlerische Form – und das nicht nur in dieser Skulptur, sondern in einer ganzen Werkserie mit dem gleichnamigen Titel.

In meisterhaften Wechselspiel von gebogenem und geschnittenem Material, von positiven und negativen Raumkörpern, von Leichtigkeit und Schwere strahlen seine neun Tonnen Cortenstahl gleichermaßen plastische Massivität und filigrane Anmut aus. Was der Innenhof im Großen vollbringt, drückt die Skulptur im Kleinen aus. Beide fangen das für alle Lebewesen buchstäblich existenzielle Licht ein. Das ist kein Zufall, sondern entspringt verwandtem künstlerischem Denken.

Fumihiko Maki und Eduardo Chillida, der sich selbst als Architekt der Leere bezeichnete, waren bereits seit 1958 befreundet, als sich der 30-jährige Architekt und der 34-jährige Bildhauer in Chicago trafen. Später steckte Maki Reinhard Ernst mit seiner Begeisterung für den baskischen Künstler an. Dass Buscando la luz III seinen Platz im Herzen des mre finden konnte, verdanken wir neben der Freundschaft großer Ausdauer und dem notwendigen Quäntchen Glück. Es dauerte viele Jahre, bis sich die Gelegenheit ergab, dieses Hauptwerk des weltberühmten Bildhauers zu erwerben. Mit dem Einzug der Skulptur ins Museum Reinhard Ernst hat Wiesbaden eine hochkarätige Botschafterin seiner Städtepartnerschaft mit San Sebastián erhalten.

Mehr über Reinhard Ernsts Wertschätzung für Chillida, den turbulenten Transport der Skulptur nach Wiesbaden, ihr sanftes und millimetergenaues Einschweben über das Museumsdach erfahren Sie hier.

Katharina Grosse – Ein Glas Wasser, bitte
Katharina Grosse, Ein Glas Wasser, bitte, 2024 © VG Bild-Kunst, Bonn, 2024

Katharina Grosse, Ein Glas Wasser, bitte

Links neben dem Empfangstresen leuchtet Ein Glas Wasser, bitte von Katharina Grosse. Die Künstlerin (geboren 1961) arbeitet unermüdlich daran, Malerei immer wieder neu erfahrbar zu machen. Dafür bricht sie gern mit den Selbstverständlichkeiten der traditionsreichen Gattung und fragt sich und uns: Was kann Malerei alles sein? Mit Farbe überzogene Architektur? Ja. Bemalte Naturelemente und Fundstücke? Ja. Einsatz von Pinsel genauso wie von Sprühpistole? Ja. Auch ihre anderen Werke in der Sammlung Reinhard Ernst testen aus, ob ein Bild mehr kann, als wir ihm bisher zutrauen. Dafür betritt Grosse immer wieder künstlerisches Neuland. In unserem Museum arbeitet sie erstmals mit Glas. Auf insgesamt 60 m² zeigt sie vom Boden bis zur Decke die unbändige Vielfalt der Farbe.

Sie lässt sie perlen und schlieren, strömen und kriechen, tropfen und strudeln, kristallisieren und ausschweifen. Sie darf sich vermischen oder sich als Fläche behaupten. Besonders bei Sonnenschein ist die Wirkung atemberaubend und feiert das überbordende Potenzial der Kunst – und wir stehen mittendrin. Grosse wird so zur bestmöglichen künstlerischen Gastgeberin für das Farblabor. Hinter ihrer Glasmalerei befindet sich das Herzstück der Kunstvermittlung im mre. In unserem Farblabor dürfen große und kleine Forscher:innen an verschiedenen digitalen Versuchsstationen mit den schier unerschöpflichen Erscheinungsformen der Malerei experimentieren.

Karl-Martin Hartmann, The Ladybird, the Innocence and the Cars

Karl-Martin Hartmann, The Ladybird, the Innocence and the Cars, 2024

In der nordöstlichen Ecke unseres Foyers entdecken Sie ein rosé-golden schimmerndes Werk des Wiesbadener Künstlers Karl-Martin Hartmann (geboren 1948).

Über zwei Stockwerke erstrecken sich schmale Glasscheiben, die wie Stoffbahnen den Blick verhängen und zugleich neugierig machen auf das dahinter Verborgene. Hinter dem durchscheinenden Vorhang enthüllt sich eine Lichtung im Wald. Dafür hat der Künstler in einem aufwendigen Verfahren (mehrschichtiger Gummidruck) Fotografien von Bäumen auf Glas übertragen. Aus Glas ist auch das Laub. Hunderte verschiedene Blätter in zahllosen Grüntönen scheinen zu Boden gefallen. Alles wird überspannt von einem Himmel aus 40 mundgeblasenen Spiegeln.

In The Ladybird, The Innocence And The Cars gelingt es Hartmann, Reinhard Ernsts Leidenschaft für die Kunst mit dessen Liebe zu außergewöhnlichen Automobilen zu vereinen. Denn in der Mitte der Lichtung steht ein Ferrari F40. Speziell dieses Auto ist ein Symbol für die Ideenwelt der 1980er und 1990er Jahre. Seine 478 PS machten ihn zum Inbegriff des Straßen-Rennwagens und künden von der seinerzeit unangefochtenen Vorherrschaft des Verbrennungsmotors und dem weitgehend unerschütterten Glauben an die fossilen Energien.

Mit dem künstlerisch verstellten Blick auf das Auto schafft Hartmann eine leichtfüßige Metapher für ein nur vermeintlich lange zurückliegendes Verständnis von Energieträgern und Mobilität. Die automobile Feier von Design und Ingenieurkönnen bettet der Künstler in seine fragil-gläserne Natur-Szenerie ein. Im spiegelnden Himmel macht sich die Kunst die farbliche Qualität des Autos zunutze. Bunte Lichtreflexe funkeln kaleidoskopisch nach oben in die Ausstellungsetage. Hinreißendes Rosé-Gold mischt sich mit ikonischem Ferrari-Rot. Im abstrakten Lichtspiel harmonisieren sich die unversöhnlichen Welten und Zeiten. Das gelingt nur der Kunst.

Bettina Pousttchi – Vertical Highways – Progressions 4 (Detail)
Bettina Pousttchi, Vertical Highways – Progressions 4 (Detail), 2024

Bettina Pousttchi, Vertical Highways – Progressions 4

Wo bitte geht’s hier zur Kunst? Mitten durch die Kunst! Dafür immer den Leitplanken folgen. Das Museum Reinhard Ernst erweitert das Flanieren entlang der Wiesbadener Wilhelmstraße um einen Spaziergang durch das Erdgeschoss des mre. Stadtraum und Museumsraum durchdringen einander architektonisch im lichtdurchfluteten Foyer. Auch künstlerisch hält die urbane Welt Einzug. Bettina Pousttchi (geboren 1971) bringt dafür ungewöhnliches Kunstmaterial ins Museum. Links vom Haupteingang recken sich rote Metallstrukturen in die Höhe.Es sind fabrikneue herkömmliche Leitplanken, die die Künstlerin vor dem Lackieren mit hydraulischen Pressen gestaucht, gebogen und verformt hat. So zerstört Pousttchi gewaltsam den ursprünglichen funktionalen Zusammenhang ihres Materials und verleiht ihm damit seine ästhetische Qualität. In die Form eines Vertical Highways – Progressions 4 gebracht, leitet es nun den (Publikums)Verkehr nicht mehr vorschriftsmäßig horizontal und erwartungsgemäß metallgrau, sondern überrascht durch Vertikalität und unbotmäßige Buntheit.

Durch die künstlerische Verwandlung und örtliche Verrückung setzen die Leitplanken nun keine Grenzen mehr. Im Gegenteil. In der Kunst werden Verkehrsführung und Geschwindigkeitsbegrenzung aufgehoben. Besser kann man auf einen Ausstellungsbesuch nicht eingestimmt werden. Pousttchi gibt in ihrer bisher größten Skulptur einen Vorgeschmack auf ähnlich arbeitende Künstler wie Frank Stella oder John Chamberlain in der Sammlung Reinhard Ernst. Um dorthin zu gelangen, führt der Weg tatsächlich direkt durch Pousttchis Skulptur. Ihre Vertical Highways – Progressions 4 führt uns zur Sonderausstellung im Erdgeschoss oder die Treppe hinauf in die Sammlungspräsentation.

Im Untergeschoss:

Claudia Walde (MadC), Wandering Thoughts

Claudia Walde (MadC), Wandering Thoughts, 2024 Foto: Marco Prosch
MadC Canvas 19.01.2021 Photo: Marco Prosch

Der Stadtraum inspiriert auch MadC zu ihrer Kunst. Mit Sprühdose und Hubsteiger verwandelt sie Brückenteile, Mauern, mehrstöckige Hausfassaden in Gemälde.
Unter ihrem Street Art-Namen MadC gehört Claudia Walde (geboren 1980) zu den anerkanntesten Graffiti-Künstlerinnen weltweit. Auch die fünf Arbeiten im mre zeigen ihre reiche Erfahrung auf diesem Feld. Die starke Leuchtkraft ihrer zum Teil monumentalen Wandmalereien verdichtet die Künstlerin in ihren Leinwandgemälden. Auch wenn sie dabei hauptsächlich mit dem Pinsel arbeitet, erinnern der transparente Auftrag der Acrylfarbe und die gelegentlichen, absichtsvollen Laufspuren immer auch an den durchscheinenden Farbnebel und den Einsatz der Sprühdose. Für Wandering Thoughts überträgt Walde ihre Gemälde anschließend in Glas. Dabei bewältigt sie die große künstlerische Herausforderung, die eigene sorgfältige und ineinandergreifende Bildkomposition zunächst wieder in ihre Einzelteile zu zerlegen.

Dann werden zahlreiche einzelne Glastafeln gefertigt, die sie zugeschnitten neben- und übereinanderschichtet, bis die gewünschte Bildtiefe, Transparenz und farbige Leuchtkraft erzielt sind.

Wie Katharina Grosse und Karl-Martin Hartmann hat auch Walde dafür eng mit den Derix Glasstudios in Taunusstein zusammengearbeitet. Dort fand sie glasmalerische Meisterschaft und das für die Umsetzung notwendige künstlerische Einfühlungsvermögen. Dank des wertschätzenden Miteinanders von Künstlerin und Glasexpert:innen halten im mre sogar die Funktionsräume Kunstgenuss bereit. Im Untergeschoss befinden sich die Sanitärbereiche. Claudia Waldes Farbe, Transparenz und Licht schaffen auch für diese besonderen Örtlichkeiten eine einzigartige künstlerische Atmosphäre.

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