Thomas Scheibitz übersetzt Beobachtungen des Alltags in Skizzenbüchern in zweidimensionale Zeichen, die das Basissystem für seine Malereien und Skulpturen bilden. Dabei widersetzen sich die gewählten Formen, wie in 101 – 2002, eindeutigen Lesbarkeiten und bleiben immer, wie der Künstler es formuliert, „am Rande einer Erfindung“. Malerei ist hier eine Gratwanderung entlang dem, was sich mit Begriffen wie abstrakt und figurativ nicht mehr fassen lässt. Die Farbe wird so aufgetragen, dass im Zusammenspiel mit dem Leinwandstoff eine seidige Oberfläche entsteht, eine Struktur, die sich wie Haut anfühlen soll. Nicht nur die Zeichen bekommen eine Eigenständigkeit, auch das Leinwandbild an sich wird für Scheibitz wieder zum Objekt.

Thomas Scheibitz (*1968)

101–2002, 2002

Aktuell Ausgestellt: Ja (Raum: The Beat Goes On)

Material: Mischtechnik auf Leinwand
Größe: 170 x 240 cm
Inv-Nr.: B_410
Bildrechte: VG Bild-Kunst, Bonn

Schlagworte:

Provenienz

Vorbesitz: Tanya Bonakdar Gallery, New York; Collection Blake Byrne, 2002
Ankauf: Sammlung Reinhard Ernst, Artcurial, Paris, 2017

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Thomas Scheibitz, geboren 1968, übersetzt Erscheinungen der realen, sichtbaren Welt in zweidimensionale Zeichen. Zuerst geschieht das in Skizzenbüchern, in die alle Erlebnisse des Alltags Einzug finden, die ihn visuell interessieren – ob aus Filmen, zufälligen Beobachtungen von Gegenständen oder Personen ist dabei gleichwertig, die Motive werden nicht gewichtet. Dieses Archiv bildet die Basis für Malereien oder Skulpturen. Dass der gemalte Gegenstand nicht mit dem realen Gegenstand gleichzusetzen ist, sondern immer nur auf ihn verweist, letztlich also das Gemalte eine eigenständige, unabhängige Realität besitzt, ist für Scheibitz zentral.

Dabei widersetzen sich die gewählten Formen, wie in 101 – 2002, eindeutigen Lesbarkeiten und bleiben immer, wie der Künstler es formuliert, „am Rande einer Erfindung“ [1]: „Ich kann mir nichts ausdenken, was wirklich neu wäre – das ist unmöglich. Nur braucht man eben auch ein Maß, das sich zwischen Anschauung und Erinnerung befindet. (…) Wenn ich jetzt hier etwa das Diktiergerät sehe, als Kiste – und vielleicht dazu den Kotflügel eines Autos, der womöglich eine ähnliche Form hat, an die ich mich in diesem Moment vergleichbar einem Déjà-vu-Effekt erinnere –, dann wird daraus eine Idee im Skizzenbuch entstehen, zu der mir vielleicht eine Skulptur einfällt.“ [2]

So entsteht ein System aus Zeichen mit semi-abstrakten Anspielungen, um damit Figuren, Gegenstände oder Szenen aufzurufen und gleichzeitig in ihrer Lesbarkeit offen zu bleiben. Malerei ist hier eine Gratwanderung entlang dem, was sich mit Begriffen wie abstrakt und figurativ nicht mehr fassen lässt. Dieser Entstehungsprozess aus Codierung und Decodierung ist für die Betrachtenden nicht mehr nachvollziehbar, für Scheibitz aber das Gegenteil keinesfalls beliebig. Er möchte, „dass ein Bild bei größtmöglicher Allgemeinheit so genau wie nur irgend möglich ist. Also, dass ich nichts Erzählerisches, nichts Fotografisches, nichts Realistisches hereinbringe, sondern dass es eine wahrscheinlich exakte, aber trotzdem allgemeine Form bleibt.“ [3]

In Thomas Scheibitz‘ Archiv interessieren ihn neben den Formen auch die Materialität von gesammelten Gegenständen. Auch in den Malereien wird die Farbe so aufgetragen, dass im Zusammenspiel mit dem Leinwandstoff eine seidige Oberfläche entsteht, eine Struktur, die sich wie Haut anfühlen soll. Nicht nur die Zeichen bekommen eine Eigenständigkeit, auch das Leinwandbild an sich wird für Scheibitz wieder zum Objekt.

Literaturverweise

[1] Stephan Berg: „The Blade Runner,“ in: Thomas Scheibitz: Masterplankino, hrgs. von Stephan Berg und René Zechlin, Ausst.-Kat. Kunstmuseum Bonn, Wilhelm Hack Museum, Köln [2018], S. 37-44, hier S. 37.
[2] Interview mit Maarten Bertheux, in: BANNISTER DIAMOND, hrsg. von Marteen Bertheux, Ausst.-Kat. Stedelijk Museum, Amsterdam 2001, S. 11–23, hier S. 13. [1] Gespräch mit Isabelle Graw, in: ONE-Time Pad, hrsg. von Susanne Gaensheimer, Ausst.-Kat. MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main, Köln 2012, S. 53–65, hier 55/56.
[3] Interview mit Maarten Bertheux, in: BANNISTER DIAMOND, hrsg. von Marteen Bertheux, Ausst.-Kat. Stedelijk Museum, Amsterdam 2001, S. 11–23, hier S. 13.