Veränderung als Konstante: Frankenthaler in Provincetown 

31.08.2025

Zurück zur Übersicht

Wenn der September vor der Tür steht, beginnt für viele wieder die Rückkehr an den Arbeitsplatz. Die Geschäfte zeigen bereits die neuen Herbstkollektionen, und wir sollen uns auf kühlere Tage einstellen. Aber wie wäre es, wenn wir all das für einen Moment ignorieren und die Seele im Spätsommer baumeln lassen würden? Wohin würden Sie aufbrechen, wenn Sie ein freies Wochenende oder – besser noch – eine Woche Zeit hätten? Die letzte Station unserer dreiteiligen Kunstreise auf den Spuren Helen Frankenthalers führt uns an die nordamerikanische Atlantikküste: Wir besuchen Provincetown, eine für Amerika geschichtlich nicht unwichtige Kleinstadt, in der Helen Frankenthaler über ein Jahrzehnt lang arbeitete.

Helen Frankenthaler mit Hans Hofmann
© Helen Frankenthaler Foundation, Inc. 2025

Provincetown Strand Foto: Beth Fitzpatrick © Pexels

Provincetown liegt an der Südküste von Massachusetts an einer hakenförmige Bucht, die den Pilger:innen, die 1620 mit der Mayflower ankamen, einen sicheren Hafen bot. Gezeichnet von der gefährlichen Überfahrt und auf der Suche nach einer Siedlung in der Nähe von New York, bot der große Naturhafen der puritanischen Glaubensgemeinschaft Schutz, bevor sie nach Plymouth, Neuengland weiterzog. [1] Provincetown entwickelte sich zu einem Fischereihafen, der im 19. Jahrhundert durch den Walfang zu besonderem Wohlstand gelangte. Um die Jahrhundertwende wurde die Gegend auch zu einem beliebten Ziel für Künstler:innen: Sie folgten dem Maler Charles W. Hawthorne (1872-1930), der sich von den weiten Dünen und ausgedehnten Stränden Provincetowns sowie von dem besonderen Licht angezogen fühlte. [2] Dies galt, ein paar Jahrzehnte später, auch für den deutschen Emigranten Hans Hofmann (1880-1966), der ebenfalls die Pleinair-Malerei bevorzugte. Er eröffnete in Provincetown seine Sommerkunstschule – ein einflussreicher Treffpunkt und Lernort für viele amerikanische abstrakte Maler:innen, darunter Helen Frankenthaler. [3] 

Helen Frankenthaler, Provincetown Harbor, 1950, VG Bild-Kunst, Bonn; © Helen Frankenthaler Foundation, New York

Ihr Frühwerk Provincetown Harbor in der Sammlung Reinhard Ernst entstand 1950 während Frankenthalers Aufenthalt an Hofmanns Schule. Dynamische Diagonalen strukturieren ein raues Papier, stimmungsvolle Grautöne verankern den unteren Teil der Komposition, um sich dann im oberen Teil des Papiers in Rosa, Grün und Ocker aufzulösen. Es ist ein Werk voller Energie und selbstbewusstes Suchen nach einer neuen Bildsprache. Frankenthaler zeigt bereits ihre meisterhafte Beherrschung der Farbe: Sie bändigt sie und lässt sie in die Textur des Papiers einfließen – und nimmt damit die „Soak-Stain“-Technik vorweg, die sie später auf der Leinwand entwickeln wird. Provincetown Harbor deutet auch Frankenthalers zentrales Interesse am Zusammenspiel von Wasser und Licht an. 

Helen Frankenthaler während der Wochen an Hans Hofmanns Schule in Provincetown, MA, July 1950. © Helen Frankenthaler Foundation Archives, New York. Fotograph unbekannt.

Provincetown sollte in den 1960er eine wichtige Rolle bei dieser Erkundung spielen: Frankenthaler erwarb mit ihrem Mann, dem Maler Robert Motherwell, zwei Immobilien, das zweistöckige Fischerhaus an der 622 Commercial Street und „Sea Barn“, eine geräumige, zum Wohnhaus umgebaute Scheune, die sie sich als Atelier einrichtete und mit ihm teilte: jede:r von ihnen arbeitete in seinem eigenen Stockwerk.[4] Das Künstlerpaar teilte die Liebe zum Meer [5]: Ihre jeweiligen Serien Provincetown (Frankenthaler) und Beside the Sea (Motherwell) feiern das Fließen von Farbe und Wasser, das Wechselspiel von Zufall und Kontrolle und letztlich Freiheit. 

Helen Frankenthaler, Provincetown Series #2, 1960, watercolor and crayon on paper, 35 ⅛” x 35”, PAAM Collection, Gift of The Helen Frankenthaler Foundation, 2022. © 2025 Helen Frankenthaler Foundation, Inc./Artists Right Society (ARS), New York.

Frankenthalers Faszination für das Wasser hielt bis zum Ende ihrer Karriere an. Sea Level (1976) und Regatta (1986), beide in der Sammlung Reinhard Ernst, deuten in ihrem Titel und ihrer Farbpalette ebenfalls ein Meeresthema an, bleiben aber der Abstraktion treu. Heftige Stürme, die dann in sanfte Blautöne der darauffolgende Stille überleiten; der fortwährende Rhythmus zwischen Ebbe und Flut, das in Bann ziehende Tanzen der Wellen, die spielerisch das Licht und die Farben spalten: Frankenthaler verstand das Meer und seine Bedeutung für die Kunst zutiefst. Ihre sich ständig weiterentwickelnde Technik und Bildsprache sind ein überzeugender Beleg dafür, wie die Künstlerin den Wandel als einzige Konstante verinnerlichte. 

Helen Frankenthaler, Regatta, 1986 © Helen Frankenthaler Foundation, Inc. / VG Bild-Kunst, Bonn 2025.
Helen Frankenthaler, Sea Level, 1976 © Helen Frankenthaler Foundation, Inc. / VG Bild-Kunst, Bonn 2025.

Zu einem Besuch des Hafenstädtchens Provincetown gehört nicht nur ein Sonnenbad an den langen Sandstränden, sondern auch ein Spaziergang entlang der Commercial St. mit ihren malerischen Holzhäusern. Genug Zeit für das Provincetown Art Association and Museum (PAAM) sollte auf jeden Fall eingeplant werden, denn es beherbergt viele Kunstschätze, darunter Frankenthalers Provincetown Serie.  

 

Wir hoffen, dass Ihnen diese Serie über Frankenthalers Reisen gefallen hat! Mehr über die Künstlerin und ihre Erfahrungen an Hofmanns Kunstsommerschule erfahren Sie in der Folge 2 ‚Gurus und Galeristen‚  und Folge 3 Durchbruch unseres Podcasts: Frankenthaler – verfügbar auf allen Plattformen, oder besuchen Sie unsere Ausstellung Helen Frankenthaler. Move and Make noch bis zum 5. Oktober 2025 im Museum Reinhard Ernst. 

Text: Ines Gutierrez, Museum Reinhard Ernst

Übersetzung ins Deutsche: Kathrin Grün, Museum Reinhard Ernst

Foto: Ruth Curtis @ Unsplash
Foto: Andrew Castillo @ Unsplash
Foto: Philipp Murray-Pietsch @ Unsplash

Wir danken für die Unterstützung bei der Recherche und die Bereitstellung von Bildern:

 

Literaturverweise: 

[1] https://plimoth.org/for-students/homework-help/who-were-the-pilgrims, veröffentlicht 2003-2025, Seitenaufruf: 25.08.25.

[2] https://www.provincetown-ma.gov/805/Historic-Provincetown, veröffentlicht 30.12.2014, Seitenaufruf: 25.08.25.

[3] Dreishpoon, Douglas; Ernst, Reinhard; Kikol, Larissa; Kornhoff, Oliver; Schäfer, Lea (eds.), Helen Frankenthaler, Hirmer, München, 2025, S.30.

[4] Smith Elizabeth; Motherwell, Lise, Abstract Climates: Helen Frankenthaler in Provincetown, Yale University Press, New Haven, London, 2018, S. 82-96.

[5] https://dedalusfoundation.org/robert-motherwell/exhibitions/beside-the-sea/, Ausstellungseintrag: Robert Motherwell. Beside the Sea, Provincetown Art Association and Museum, Massachusetts, 20.07–30.09.12, © 2025 Dedalus Foundation, Inc., Seitenaufruf: 25.08.25.